Erschließungsbeiträge in Rathäusern

Ausgewählte Rezepte zur Abrechnung von Erschließungsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung hessischer Spezialitäten
von Erich Bauer


Menue

1. Amuse göele

2. Hors d'oeuvre

3 Entrées

4. Plat principal

5. Dessert


1. Muß das sein?


Die Verwendung des imperativen Indikativ in § 127 Abs. 1 BauGB stellt klar, daß es nicht ins Ermessen der Gemeinde gestellt ist, ob sie Erschließungsbeiträge erhebt oder nicht. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, daß Erschließungsbeiträge zwingend zu erheben sind. Nach all dem, was man so über die Probleme bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen gehört hat, mag man sich zwar die Eingangsfrage stellen. Wenn die Antwort dann mehr oder weniger gut verdaut ist, soll diese Schrift sozusagen als Rezeptbuch dazu dienen, auch das übrige Gericht für alle möglichst verdaulich zu machen.

Abhandlungen über das Erschließungsbeitragsrecht liegen zum einen in den Kommentaren zum Baugesetzbuch vor, zum andern aber auch in diversen Fachbüchern. Von diesen Büchern lohnt eines erwähnt zu sein, nämlich Driehaus, Hans-Joachim, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage, Verlag C.H. Beck, München 2012. Da man das Buch braucht, wenn man Beiträge erheben will, gleich die ISBN 978-3-406-62917-4. Driehaus handelt die Thematik der Erschließungsbeiträge in einer von ihrer Systematik her bestechenden Weise ab, so daß dem eigentlich literarisch nichts hinzuzufügen wäre - wäre da nicht das Problem des Einstiegs in die über eintausend Randnummern. In der vorliegenden Schrift wird immer wieder auf diese Randnummern verwiesen. Für denjenigen, der - aus welchen Gründen auch immer - erstmalig oder nach vielen Jahren wieder einmal oder neben einer Fülle anderer Aufgaben auch mal eine Erschließungsbeitragsabrechnung machen muß, mag die vorliegende Schrift als Kochrezept dienen, vertiefen muß er andernorts. Auf Kosten der Systematik wird dabei nach dem zeitlichen Ablauf der Verwaltungstätigkeit gegliedert.

Kallerhoff hat in DVBl 1991 S.975 kritisiert, daß auf der Grundlage der Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichtes die Abrechnung von Erschließungsbeiträgen zu einer hochkomplizierten Materie geworden sei, bei der sich oftmals die Frage stelle, ob der Aufwand für die Ermittlung und Berechnung noch in einem vernünftigen Verhältnis zum Erfolg stehe. Die Kosten für die Ermittlung der Beiträge betragen im Falle der Beauftragung externer Büros 1 - 4 % des beitragsfähigen Aufwands. Hinzu kommen die nicht bezifferbaren Kosten der Verwaltung, die auch im Falle einer Vergabe der Abrechnung, wenn auch in geringem Umfang, entstehen. In diese Größenordnung gerät man ohne weiteres, wenn man sich bemüht, zumindest die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie die bei Driehaus erörterten Probleme in der gebotenen Weise abzuarbeiten. Selbstverständlich kann man sich auch das Baugesetzbuch vornehmen, die dreizehn Paragraphen ab § 123 lesen und dann so abrechnen, wie man meint, daß es richtig sei. Wenn man Glück hat, legt niemand Widerspruch ein und die Sache ist vergessen. Andernfalls ist selbstverständlich die Verwaltung die Dumme. Deshalb ist im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf die Probleme hingewiesen, die bei der Bearbeitung von Erschließungsbeitragsabrechnungen im Auftrag von Städten und Gemeinden immer wieder auftreten.

Um die angerissenen Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen, ist immer zu empfehlen, eine Erschließungsbeitragsabrechnung ganz zu umgehen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Die Ablösevereinbarung
2. Den Erschließungsvertrag


1.1 Ablösevereinbarung

§ 133 Abs. 3 S. 5 BauGB hat folgenden Wortlaut: "Die Gemeinde kann Bestimmungen über die Ablösung des Erschließungsbeitrags im ganzen vor Entstehung der Beitragspflicht treffen."
Die Erfahrungen im Gesamtkomplex von Bauleitplanung, Baulandumlegung, Erschließungsbeitragsabrechnung lassen sich unschwer wie folgt zusammenfassen: In der Phase der Planung und Baulandumlegung sind die Eigentümer insbesondere in Neuerschließungsgebieten regelmäßig an einer zügigen Abwicklung der Verfahren interessiert, damit alsbald der mehr oder weniger große wirtschaftliche Vorteil aus der Umwandlung von Ackerland in Bauland realisiert werden kann. Der Bebauungsplan selbst, die Baugenehmigungsverfahren auf seiner Grundlage und auch die Baulandumlegungsverfahren werden daher relativ selten auf den Prüfstand der Gerichte gebracht. Wenn aber nach erfolgter Investition die Belastungen drücken und dann nach einigen Jahren auch noch ein Beitragsbescheid ins Haus flattert, ist die Neigung zum Widerspruch ungleich größer. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung empfiehlt es sich aus der Sicht der Gemeinden, die Frage der Erschließungskosten möglichst frühzeitig innerhalb des geschilderten Gesamtprozesses endgültig zu lösen. Dazu bietet sich die Ablösevereinbarung an.

Die Ablösevereinbarung, für die auf einen Mustertext des Hessischen Städte- und Gemeindebundes zurückgegriffen werden kann, regelt die Zahlung eines bestimmten Betrags an die Gemeinde. Die Gemeinde als Bauherr baut damit die Erschließungsanlagen in eigener Regie aus. Sie hat so einerseits die Möglichkeit, die Anlagen nach den Qualitätskriterien bauen zu lassen, die sie für angemessen hält, andererseits hat sie aber auch die Last der Bauherrentätigkeit. § 11 der Mustersatzung des Hessischen Städte- und Gemeindebundes wird allgemein als ausreichende "Bestimmungen über die Ablösung" im Sinne des § 133 Abs. 3 S. 5 BauGB angesehen. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht eine relativ hohe Toleranzschwelle gesetzt, was die Schätzfehler bei der Festlegung des Ablösebetrages angeht. Würde sich nach dem Bau der Anlage im Falle einer Abrechnung eine Unterschreitung des vertraglich festgelegten Ablösebetrages um bis zur Hälfte oder aber eine Überschreitung um bis zum Doppelten ergeben, so ist innerhalb dieser Grenzen kein Raum für Rückzahlungsansprüche der Grundstückseigentümer aber auch nicht für Nachforderungen der Gemeinde. Im gleichen Vertrag können auch landesrechtliche Entwässerungs- und Wasserversorgungsbeiträge und die Kostenerstattung nach § 135a BauGB abgelöst werden. Im Ablösevertrag ist auch die Übernahme des Eigenanteils durch die Gemeinde zu regeln.

Es ist zu empfehlen, auf jeden Fall derartige Ablösevereinbarung anzustreben und dies etwa in der zeitlichen Phase des Umlegungsverfahrens zu tun, in der, wie dargelegt, die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer noch sehr hoch ist. Auf diese Mitwirkungsbereitschaft ist die Gemeinde nämlich angewiesen, da der öffentlich-rechtliche Vertrag der Ablösevereinbarung nur auf freiwilliger Basis geschlossen werden kann. Falls nur einzelne Eigentümer nicht zum Vertragsabschluß bereit sein sollten, können mit den übrigen Verträge geschlossen werden. Allerdings muß wegen der Verweigerer später zusätzlich eine Verteilungsberechnung vorgenommen werden. Ablösevereinbarungen können nicht mehr getroffen werden, wenn die sachlichen Beitragspflichten bereits entstanden sind. Der Beitrag kann auch immer nur im ganzen abgelöst werden. Eine Ablösung für Teileinrichtungen wie Fahrbahnen oder Gehwege im Sinne einer Kostenspaltung ist nicht möglich.

Eine Ablösevereinbarung kann wie jeder öffentlich-rechtliche Vertrag vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden. Wie lange dies nach dessen Abschluß noch mit Erfolg möglich ist, war strittig. Das OVG Lüneburg hat in der Entscheidung 9 A 220/86 vom 13.11.1990, NVwZ-RR 1991, S. 425 die fünfjährige Verjährung nach § 228 der Abgabenordnung auf Rückforderungen aus Ablösevereinbarungen angewendet, so daß auch hier in überschaubaren Zeiträumen Rechtsfrieden herrschen dürfte. In gleicher Weise hat für Hessen das VG Frankfurt in dem unveröffentlichten Urteil 6 E 3152/96 vom 15.4.1997 entschieden.

Insbesondere in den Fällen, in denen Bauträger oder Bauunternehmungen selbst bereits großflächig Grundstückseigentümer sind, wird von privater Seite eher der Abschluß eines Erschließungsvertrages angestrebt, bei dem nämlich im Gegensatz zur Ablösevereinbarung der Private der Bauherr der Erschließungsmaßmaßnahme ist und deshalb die Möglichkeit hat, ggf. selbst billiger zu bauen oder aber seine Preisvorstellungen härter durchzusetzen, als dies eine an die VOB gebundene Gemeinde tun kann.


1.2 Erschließungsvertrag

Im Erschließungsvertrag, für den es ebenfalls ein Vertragsmuster des Hessischen Städte- und Gemeindebundes gibt, verpflichtet sich ein Dritter, meist ein Eigentümer größerer Flächen im Erschließungsgebiet zum Bau der Erschließungsanlagen nach Vorgabe der Gemeinde und zur anschließenden Übergabe an die Gemeinde. Da bekanntlich Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist, empfiehlt es sich, in diesen Fällen die vertraglich möglichst exakt beschriebene Art und den Umfang der Ausführung der Baumaßnahmen auch intensiv zu überwachen, wodurch sich dann ein Vorteil gegenüber der Ablösevereinbarung, nämlich die geringe Arbeitsbelastung der Verwaltung als Bauherr teilweise wieder aufhebt.

Im Erschließungsvertrag kann - anders als in der Ablösevereinbarung - vereinbart werden, daß die Gemeinde keinen Eigenanteil an den Kosten übernimmt. Auch kann die Erstellung solcher Anlagen durch den Unternehmer vereinbart werden, für die Beiträge sonst nicht erhoben werden könnten, wie beispielsweise für Brücken und Spielplätze.

Bezugsgrundlage beim Abschluss eines Erschließungsvertrags sollte eine bereits vorliegende Entwurfsplanung sein.

Grundlage für die Vertragserfüllung durch den Unternehmer ist auf jeden Fall auch ein rechtswirksamer Bebauungsplan oder die Erfüllung der in § 125 Abs. 2 BauGB genannten Voraussetzungen, denn die Vorschrift des § 125 BauGB gilt im Falle des Erschließungvertrages ebenso wie im Falle einer Beitragsabrechnung. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses müssen diese Voraussetzungen jedoch noch nicht vorliegen.

Beinhaltet der Erschließungsvertrag auch die Übereignung der zukünftigen Erschließungsanlagen an die Gemeinde, ist § 311b BGB zu beachten. Ohne notarielle Urkunde wäre ein derartiger Erschließungsvertrag nämlich unwirksam. Da lediglich die Übertragung der Erschließungsanlage ins Eigentum der Gemeinde notarpflichtig ist, empfiehlt es sich, in derartigen Fällen zwei getrennte Verträge zu schließen, nämlich einen über die Baumaßnahme und einen anderen zur Übertragung der Grundstücksflächen. Andernfalls berechnet der Notar seine Gebühren aus der Gesamtsumme, also einschließlich der Baukosten, da er selbstverständlich auch derartige Geschäfte auf Wunsch der Vertragspartner beurkundet. Notare warnen vor einer solchen Vertragsaufspaltung. Honni soit, qui mal y pense. Einerseits ist an dieser Warnung richtig, dass der Formzwang für alle Rechtsgeschäfte gilt, die zumindest für einen Vertragsbeteiligten in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Grundstücksgeschäft stehen. Andererseits wird nach § 311b Abs.1 Satz 2 BGB ein ohne Beachtung dieser Form geschlossener Vertrag seinem ganzen Inhalte nach gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgen. Sparsame, ohne Notar handelnde Partner eines Vertrags über die reine Baumaßnahme, müssen also bis zur Wahrung des notariellen Grundstücksvertrages im Grundbuch bangen, falls in dieser Zeit Leistungsstörungen auftreten. Da diese meist beim Erschließungsträger auftreten, steht schlimmstenfalls die Gemeinde ohne die vertraglich vereinbarten Sicherungen da, muß die Erschließungsmaßnahme - ohne auf eine Vertragserfüllungsbürgschaft zurückgreifen zu können - selbst mit eigenen Geldmitteln zu Ende bringen und anschließend Beitragsbescheide verschicken, wobei sie dann auch ihren mindestens zehnprozentigen Eigenanteil tragen muß. Dass die Gemeinde bei Ausfall des Erschließungsträgers nur weiterbauen darf, nachdem sie Eigentümerin der Erschließungsfläche geworden ist, dürfte aus der Sicht der Gemeinde nicht weiter schlimm sein. Erfahrungsgemäß ist nämlich nicht die Gemeinde vorrangig am Erwerb des Straßenlandes interessiert, sondern der Erschließungsträger daran, dieses an die Gemeinde los zu werden.


2. Prüfung der Voraussetzungen für die Beitragserhebung

Zunächst stellt sich die Frage, was überhaupt abgerechnet werden soll. Umgangssprachlich wird oft davon gesprochen, daß ein Baugebiet abzurechnen sei. Ein Baugebiet kann jedoch weder sachlich noch räumlich einheitlich abgerechnet werden. Für ein Baugebiet können auch keine Beitragspflichten entstehen, sondern immer nur für Grundstücke.


2.1 Sachliche Abgrenzung

Sachlich ist die Erhebung von Entwässerungsbeiträgen oder Wasserversorgungsbeiträgen ein Beitragserhebungsverfahren auf der Grundlage des Hessischen Kommunalabgabengesetzes, während die Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 BauGB nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs abzurechnen sind. Hat eine Gemeinde in einem Neubaugebiet Entwässerungsbeiträge erhoben, was regelmäßig früher möglich sein wird als die Erhebung der Erschließungsbeiträge und hat sie aus Anlaß dieser Beitragserhebung den Entwässerungsbeitrag neu kalkuliert, bei dieser Kalkulation aber irrtümlich auch die Entwässerung der Erschließungsanlagen in die Einheitssätze mit eingerechnet und ist diese Beitragserhebung ohne Widersprüche rechtswirksam geworden, so besteht später bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen keine Veranlassung, die Sache neu aufzurollen. Die Kosten für die Entwässerung der Erschließungsanlagen sind dann als "anderweitig gedeckt" im Sinne von § 129 Abs. 1 BauGB anzusehen.

Bei Straßen, die in der Örtlichkeit zwar "da" sind, nun aber "richtig" ausgebaut werden, stellt sich die Frage, ob Erschließungsbeiträge oder nur Ausbaubeiträge nach dem KAG (siehe dazu) erhoben werden können. Die Gemeinde, die hier falsch abrechnet, nämlich nach dem BauGB und sich dies im Prozeß vorhalten lassen muß, ist relativ gut dran, wenn sie über eine Straßenbeitragssatzung verfügt, denn die Gerichte sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes verpflichtet, die teilweise Aufrechterhaltung des Bescheides als KAG-Beitrag von sich aus zu prüfen.

In sachlicher Hinsicht ist bei der Erhebung bundesrechtlicher Erschließungsbeiträge auch zu fragen, welche der in § 127 Abs. 2 Ziffer 1 bis 5 BauGB aufgeführten Anlagen abzurechnen sind. Stichwortartig sind dies folgende fünf Typen von Anlagen:

Der Blick ins Gesetz und die einschlägige Kommentierung zeigt eine Fülle von Abgrenzungs- und Differenzierungsproblemen in diesen Bereichen auf, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Erschließungsanlagen, die in unterschiedlichen Ziffern des § 127 Abs. 2 genannt sind, können nicht gemeinsam abgerechnet werden. Sammelstraßen, Parkplätze und Fußwege sind meist entgegen dem Wortlaut des § 127 Abs. 2 BauGB nicht beitragsfähig, weil der Kreis der von ihnen erschlossenen Grundstücke nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmt werden kann, Driehaus, § 2, Rd.-Nr. 52.


2.2 Räumliche Abgrenzung

Die räumliche Abgrenzung ist in der Praxis von entscheidender Bedeutung und zwar nicht erst bei der Beitragserhebung, sondern bereits bei Planung und Vergabe der Bauarbeiten. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt sollte die für die Beitragserhebung zuständige Stelle in Zusammenarbeit mit der oft organisatorisch von ihr getrennten technischen Abteilung Übereinstimmung darüber erzielen, ob einzelne Anlagen abgerechnet werden und wie sie untereinander abzugrenzen sind, ob Abschnitte im Sinne von § 130 Abs. 2 S. 1 BauGB gebildet werden oder Erschließungseinheiten im Sinne von § 130 Abs. 2 S. 3 BauGB. Wird auf diese räumliche Abgrenzung bereits bei der Planung und Ausschreibung Rücksicht genommen, ergeben sich bei der späteren Zusammenstellung der Aufwendungen wesentliche Erleichterungen, insbesondere entfallen die Zweifelsfragen die sonst auftreten, wenn eine Unternehmerrechnung mehrere Erschließungsanlagen betrifft und deshalb nachträglich aufgrund des Aufmaßes auseinandergerechnet werden muß.

Der Gesetzgeber geht als Regelfall von der Abrechnung der einzelnen Erschließungsanlage aus. Der gesetzliche Regelfall ist also nicht etwa wie es die kommunale Bauleitplanung nahelegt, die Abrechnung eines Baugebietes insgesamt. Da für den Bürger und den Kommunalpolitiker diese gebietsweise Sicht aber im überwiegenden Teil der Fälle die naheliegendere ist, wird üblicherweise überlegt, ob die Bildung einer Erschließungseinheit in Frage kommt. § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB ermöglicht es, für mehrere Anlagen, die für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden, den Erschließungsaufwand insgesamt zu ermitteln. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hatte hier jedoch enge Grenzen gezogen. Nach dieser Rechtsprechung konnten nur solche Anlagen zu einer Einheit zusammengefaßt werden, die in einem funktionellen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Ein Neubaugebiet, das an mehreren Stellen mit dem bestehenden Straßennetz verknüpft ist, wird nicht als funktionelle Einheit anzusehen sein. Denkbar ist die Zusammenfassung einer Hauptstraße mit einer oder mehreren davon abgehenden Stichstraßen und/oder mit einer oder mehreren von ihr abgehenden Schleifenstraßen, die wieder in sie einmünden. In diesen Fällen sind die von der Hauptstraße abgehenden selbständigen Straßen auf die jeweilige Hauptstraße angewiesen. Aber auch diese Fälle können für eine Einheitsbildung ausfallen, nämlich dann, wenn die Nebenstraße aus besonderen Gründen so teuer wird, daß der Beitrag für einen Beitragspflichtigen an der Hauptstraße durch die Zusammenfassung zu einer Erschließungseinheit höher wäre, als im Falle der Einzelabrechnung. Umgekehrt meint das BVerwG im Urteil 9 C 2.08 vom 10.06.2009, "dass das einer Gemeinde eingeräumte Ermessen bei der Entscheidung über die Zusammenfassung von zwei (oder weiteren) selbstständigen Erschließungsanlagen zu einer Erschließungseinheit grundsätzlich dann auf Null reduziert ist, wenn bei getrennter Abrechnung die Grundstücke, die an der einen, regelmäßig aufwändiger hergestellten Anlage (Hauptstraße) liegen, im Vergleich mit den Grundstücken an der anderen, regelmäßig weniger aufwändig hergestellten und funktional abhängigen Anlage (Nebenstraße) mit um mehr als ein Drittel höheren Kosten belastet würden, bemessen nach dem für die jeweilige Erschließungsanlage sich ergebenden Beitragssatz in € pro m² beitragspflichtiger Veranlagungsfläche." Der Entscheidung dürfte zu entnehmen sein, dass in einem solchen Fall der zwingenden Zusammenfassung auch kein förmlicher Beschluss dazu nötig ist. Problematisch ist aber die Anknüpfung an den Beitragssatz in € pro m² beitragspflichtiger Veranlagungsfläche. Nach den in Hessen üblichen Satzungen ist nämlich für jede einzelne Erschließungsanlage zunächst zu entscheiden, ob die Verteilung bei einheitlicher Nutzung im Abrechnungsgebiet nach dem Grundstücksflächenmaßstab erfolgen soll oder bei unterschiedlicher Nutzung nach dem Geschossflächen- bzw. dem Nutzungsfaktorenmaßstab. Wenn nun bei Haupt- und Nebenstraße unterschiedliche Maßstäbe anzuwenden sind, versagt das vom BVerwG eingeführte Bemessungskriterium. Den aktuellen Stand seiner Überlegungen zur Erschließungseinheit hat das BVerwG in der Entscheidung 9 C 1.12 vom 21.01.2013 zusammengefasst.

Das Damoklesschwert der gerichtlichen Überprüfung darf also nicht automatisch dazu führen, daß nun generell die einzelne Anlage abgerechnet wird. In modernen Baugebieten, die nicht mehr die klassische Rastererschließung aufweisen, ist nämlich die Frage der Abgrenzung der einzelnen Erschließungsanlagen untereinander oft mindestens ebenso schwierig zu beantworten, wie die, ob ein funktioneller Zusammenhang zwischen den einzelnen Anlagen und somit die Berechtigung oder gar zur Verpflichtung zur Bildung einer Erschließungseinheit vorliegt. Die Abgrenzung einzelner Anlagen voneinander ist nach der sogenannten "natürlichen Betrachtungsweise" vorzunehmen.

Ein weiteres Abgrenzungsproblem sind die Stichstraßen mit der Frage, ob es sich um eine selbständige Stichstraße handelt mit der Folge, daß ihre Kosten nur auf die von ihr erschlossenen Grundstücke zu verteilen sind oder ob die Stichstraße ein unselbständiger Teil einer anderen Erschließungsstraße ist, mit der Folge, daß Stichstraße und Straße, in die sie einmündet, kostenmäßig auf alle von beiden Straßen erschlossene Grundstücke zu verteilen ist, Driehaus, § 12, Rd.-Nr. 14 ff. Die Rechtsprechung hat zwar mit einen Faustwert von ca. 100 m Länge der Stichstraße für die Abgrenzung einen Anhaltspunkt gegeben. Bei Stichstraßen, die etwa diese Länge haben, dürfte die Entscheidung vor Ort jedoch immer sehr problematisch sein. In Zweifelsfällen, sollte jeweils der Lösung der Vorrang gegeben werden, bei der die Kostenmasse auf möglichst viele Grundstücke verteilt wird.


2.3 Satzungsrecht

Abgerechnet werden kann eine Erschließungsanlage nur, wenn auch eine Erschließungsbeitragssatzung (EBS) existiert und diese Satzung die jeweilige Anlage auch erfaßt. Die Existenz einer EBS wird in dieser Schrift ebenso vorausgesetzt, wie die gelegentliche Aktualisierung dieser Satzung auf der Grundlage der Mustersatzung des Hessischen Städte- und Gemeindebundes. Es ist allerdings nicht geboten, vor jeder Abrechnung die Satzung anhand der neuesten Erkenntnissen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Gültigkeit bestimmter Satzungsregelungen juristisch überprüfen zu lassen. Sollten sich hier in späteren Rechtstreitigkeiten Probleme ergeben, kann theoretisch in den meisten Fällen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bis in die Revisionsinstanz durch rückwirkenden Erlaß einer neuen Satzung geheilt werden. Auf diese Möglichkeit kann eine Gemeinde aber seit dem Inkrafttreten der 6. Änderung der VwGO im Regelfall praktisch nur noch bis zur mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zurückgreifen.

Eine besondere Satzung dürfte regelmäßig zur Abrechnung einer Immissionsschutzanlage notwendig werden. Eine Sondersatzung ist auch notwendig, wenn eine Straße abweichend von den in der EBS generell geregelten Merkmalen der endgültigen Herstellung ausgebaut werden soll, beispielsweise wenn der einheitliche Ausbau ohne beidseitige Bordsteine und Gehwege gewählt wurde, das Vorhandensein dieser Einrichtungen aber, wie in Hessen üblich, als Merkmal der endgültigen Herstellung in der Satzung geregelt ist.

Zu prüfen ist, ob die Straße selbst im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegt (Planerfordernis). Ist dies der Fall, ist zu fragen, ob sie gegebenenfalls abweichend von den Festsetzungen des Bebauungsplanes ausgebaut ist (Planbindung). Letzteres wäre für die beiden in § 125 Abs. 3 Ziffer 1 und 2 BauGB genannten Fälle, in denen der Ausbau hinter den Festsetzungen zurückbleibt oder aber keine höhere Belastung als im Falle des plangemäßen Ausbaues auftritt, unschädlich. Falls diese beiden Sonderfälle nicht vorliegen, muß der Bebauungsplan geändert werden. Dieses Änderungsverfahren könnte im übrigen noch während eines Rechtstreits bis zur Berufungsinstanz abgeschlossen werden. Die Heilung eines vom Bebauungsplan abweichenden Ausbaus durch Rückgriff auf § 125 Abs. 2 BauGB dürfte bei vorhandenem Bebauungsplan schon wegen des klaren Wortlautes der Vorschrift nicht in Frage kommen.

In der Regel ist die Einteilung der Straße in Gehwege, Radwege und Fahrbahn übrigens nicht satzungsrechtlicher Inhalt des Bebauungsplanes, so daß eine Abweichung von einer Planzeichnung, die diese interne Einteilung des Straßenraums lediglich als Hinweis beinhaltet, unschädlich ist. Anders wäre es, wenn wirklich Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung gemäß § 9 Abs. 1 Ziffer 11 BauGB regelrecht festgesetzt wären.

Bis zum Inkrafttreten des Baugesetzbuches in der Bekanntmachung vom 27.08.1997 am 01.01.1998 bedurfte der Bau einer Erschließungsstraße in einem Bereich, in dem kein Bebauungsplan vorhanden war, in der Regel der Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde. Dieses Zustimmungsverfahren konnte nach Auffassung des Bundesgesetzgebers nunmehr in gleicher Weise entfallen wie das bisherige Anzeigeverfahren für Bebauungspläne. Insofern wird eine staatliche Kontrolle des gemeindlichen Planungshandels nicht mehr für notwendig erachtet. Nach dem neuen Abs. 2 des § 125 BauGB dürfen seit dem 01.01.1998 Erschließungsanlagen nur hergestellt werden, wenn sie den in den § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen, also den allgemeinen materiellen Grundsätzen der Bauleitplanung. Eine formelle Prüfung, ob diese Grundsätze eingehalten sind, findet nach dem Gesetzeswortlaut nicht mehr statt.

Hier sind zunächst bei der Frage des Übergangsrechts unterschiedliche Interpretationen bekannt geworden. Stadler: Umlegungsrecht und Erschließungsrecht - Änderungen durch die BauGB-Novelle 1998, ZfBR 1998 S. 12, will die Überleitungsregelung des § 233 Abs. 1 BauGB so angewendet werden wissen, daß sich vor dem 01.01.1998 begonnene Erschließungsmaßnahmen noch nach altem Recht richten sollen, daß dafür also die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde notwendig sei. Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht abzulehnen. Mit "Verfahren nach diesem Gesetz, die vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung förmlich eingeleitet worden sind", im Sinne des § 233 Abs. 1 BauGB sind nicht tatsächliche Baumaßnahmen gemeint, sondern Verwaltungsverfahren zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen. Ein Beitragsbescheid, der nach dem 01.01.1998 erlassen wurde, ist also auch dann rechtmäßig, wenn die mit ihm abgerechnete Anlage ohne Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde errichtet wurde, materiell aber die vom Gesetz geforderten Kriterien einhält.

Ein weiteres Problem scheint sich durch die Vortrags- und Lehrtätigkeit von Herrn Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus in diesem Bereich aufzutun. Diese - für das Erschließungsbeitragsrecht ja nicht unbedeutende - Stimme bedauert den Wegfall der bisherigen formellen Zustimmung, die - als Verwaltungsakt einmal in Bestandskraft erwachsen - den Gemeinden auch die Sicherheit vor späteren rechtlichen Angriffen gegen die Rechtmäßigkeit der Erschließung gegeben habe. Diese Schutzwirkung sei nun nicht mehr gegeben. Soweit ist Driehaus auch nach der hier vertretenen Ansicht zuzustimmen. Er schließt dann aber üblicherweise Überlegungen darüber an, daß nunmehr die Gemeinde im Sinne einer Bebauungsplanbegründung zu dokumentieren habe, daß die Kriterien des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB eingehalten sind und daß diese Begründung sogar formal von dem sonst für bauleitplanerische Abwägungen zuständigen Gemeindeorgan, nämlich in der Regel vom Rat selbst, beschlossen werden müsse. Dieser Auffassung ist zu widersprechen. Weder aus dem Gesetzeswortlaut des Baugesetzbuches noch mit Blick auf den Amtsermittlungsgrundsatz im Verwaltungsstreitverfahren ist ein so weitgehender Verfahrensaufwand ableitbar, so im Ergebnis zunächst auch OVG Münster, Urteil vom 29.11.2002, 3 A 3710/99. Vom Sinn der Gesetzesänderung her, wie er beispielsweise bei Lüers: Die Änderungen des Baugesetzbuchs durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 BauROG-Teil 2, ZfBR 1997 S. 275, beschrieben ist, ist vom Gesetzgeber gerade das Gegenteil von dem beabsichtigt, was Driehaus nun als Konsequenz aus der Gesetzesänderung für notwendig erachtet.

In mehreren Bundesländern sind aber die jeweiligen Oberverwaltungsgerichte der Meinung, dass nach dem Wegfall einer aufsichtbehördlichen Prüfung nun durch die Gemeinde selbst formell geprüft werden müsse, ob die abzurechnende Erschließungsanlage den Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB genügt, so inzwischen auch OVG Nordrhein -Westfalen, Urteil vom 08.05.2009, 15 A 770/07. Danach habe der Rat wie in der Bauleitplanung eine Abwägung zu treffen. Die Zuständigkeit könne allerdings auf einen Ausschuss oder die Verwaltungsbehörde der Gemeinde übertragen werden. Eine Prüfung durch die Verwaltung ohne eine förmliche Übertragung der Aufgabe durch den Rat reiche danach nicht aus. Aus Hessen sind derartige Entscheidungen bisher nicht bekannt. Da sich aber die Vorschriften der Gemeindeordnungen Nordrhein-Westfales und Hessens diesbezüglich inhaltlich nicht unterscheiden, empfiehlt es sich, sicherheitshalber auch in Hessischen Städten und Gemeinden entsprechende Abwägungsbeschlüsse zu fassen.


2.4 Weitere Voraussetzungen

Weitere Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ist die Widmung bei Straßen. Nur durch sie entstehen öffentliche Straßen im Sinne von § 127, Abs. 2 BauGB. Ist die Straße auf der Grundlage eines Bebauungsplanes gebaut, bedarf es in Hessen keines besonderen Widmungsaktes. Gemäß § 2 Abs. 1 des Hessischen Straßengesetzes gilt eine auf der Grundlage eines Bebauungsplanes gebaute Straße mit ihrer Verkehrsübergabe als gewidmet. Liegt kein Bebauungsplan vor, muß diese Widmung nach den Vorschriften des Hessischen Straßengesetzes förmlich vorgenommen werden. Eine vergessene Widmung kann bis ins gerichtliche Verfahren hinein noch nachgeholt werden.

Die Beitragspflicht kann nur entstehen, wenn die Anlage endgültig hergestellt ist. Dazu muß sie technisch mit den in der EBS genannten Merkmalen fertig hergestellt sein, beispielsweise mit beidseitigem Bürgersteig. Ist der Ausbau anders erfolgt, muß eine Abweichungssatzung erlassen werden, was, falls es vergessen wurde, ebenfalls noch während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Auch die weiteren sachlichen Herstellungsmerkmale, etwa das Vorhandensein der Beleuchtung und der Entwässerung müssen erfüllt sein. Ist der Grunderwerb unter den Merkmalen der endgültigen Herstellung der EBS aufgeführt, so muß auch dieser abgeschlossen sein. Im Hinblick auf den Beginn der Festsetzungsverjährung kommt es aber nicht auf den Abschluß der Arbeiten im Gelände an, sondern auf den Eingang der letzten prüffähigen Unternehmer-, Ingenieur- bzw. Notarrechnung. Probleme können auftreten, wenn ein möglicherweise langjähriger Rechtstreit zwischen der Gemeinde und einem Unternehmer über die Höhe einer Rechnung schwebt und die Gemeinde für die Abrechnung der Beiträge etwa den Ausgang dieses Streits abwarten will. Da die sachlichen Beitragspflichten in der Regel mit dem Eingang der letzten prüffähigen Unternehmerrechnung entstehen, beginnt auch am 1. Januar des Folgejahres der Lauf der vierjährigen Festsetzungsverjährung unabhängig davon, ob die prüffähige Rechnung auch richtig ist. Hier sei auf die Möglichkeit hingewiesen, vorläufige Bescheide im Sinne von § 165 der Abgabenordnung zu erlassen. Folgt auf einen derartigen vorläufigen Bescheid später der endgültige Bescheid in einer anderen Höhe als der vorläufige, weil der Zivilrechtstreit mit dem Unternehmer in einer von der Gemeinde beim Erlaß der vorläufigen Bescheide nicht vorausgesehenen Weise beendet wurde, so kann mit Rechtsmitteln nur die Höhe dieses Änderungsbetrages überprüft werden, nicht aber wiederum das gesamte Beitragserhebungsverfahren.

Die Bildung von Abschnitten und Erschließungseinheiten kann zeitlich nur vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflichten für die Einzelanlage erfolgen. Ist dieser Zeitpunkt versäumt, ist nur die Einzelabrechnung möglich. Eine derartige Einzelabrechnung ist dann auch nicht rechtswidrig. Es besteht nämlich kein Rechtsanspruch auf die Ermessensentscheidung für eine Abschnitts- oder Erschließungseinheitsbildung.




3. Aufwendungsphase, Verteilungsphase

3.1 Aufwendungsphase (Beispiel Straße)

3.1.1 Mögliche Aufwendungen

Die folgende Liste möglicher Aufwendungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie kann jedoch dazu beitragen, daß nichts vergessen wird.

Nicht zu den umlagefähigen Kosten gehören beispielsweise die Kosten die dadurch entstehen, daß die Beitragsabrechnung wegen des Umfangs dieser Arbeiten nicht durch die Verwaltung selbst sondern durch ein beauftragtes Büro durchgeführt wird. Auch die Kosten für die Aufstellung des Bebauungsplanes gehören nicht dazu.


3.1.2 Straßenentwässerung und -beleuchtung

Da nach den Vorschriften des BauGB nur die Entwässerung der Erschließungsanlagen selbst abgerechnet werden kann, nicht jedoch die Entwässerung der angrenzenden Grundstücke, ist zunächst darauf zu achten, daß alle Kosten, die eindeutig abgrenzbar nur für Entwässerungsmaßnahmen an der Erschließungsanlage auftreten, getrennt erfaßt werden. Dies gilt insbesondere für die Straßeneinläufe und die Verbindungsrohre von diesen Einläufen zu dem Entwässerungskanal in der Straßenlängsachse. Dient dieser Kanal nur der Entwässerung der Straße, liegt die Sache insofern einfach. Im Fall des Trennsystems dient er aber auch regelmäßig der Regenwasserentwässerung der erschlossenen Grundstücke, im Mischsystem zusätzlich der Schmutzwasserentwässerung. In diesen Fällen muß nach Driehaus, § 13, Rd-Nr. 72 ff in der dort im einzelnen beschriebenen Weise eine Fiktivberechnung vorgenommen werden, um den Kostenanteil der bundesrechtlichen Erschließungsmaßnahme am gemischt genutzten Kanal festlegen zu können. Erfahrungsgemäß liegt dieser Anteil bei Mischsystemen nicht sehr weit von dem in der Praxis oft verwendeten Schätzwert von 1/3 entfernt. Wer diesen Faustwert ansetzt, ohne eine Fiktivberechnung vorlegen zu können, muß jedoch bei gerichtlicher Überprüfung mit einer Aufhebung des Bescheids insoweit rechnen. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen halten die Oberverwaltungsgerichte Driehaus' "Dreikanalmethode" für falsch und eine "Zweikanalmethode" für maßgebend, Driehaus, § 13, Rd-Nr. 77.

Die Kosten nicht nur der Entwässerungsleitungen innerhalb des abzurechnenden Straßenkörpers können umgelegt werden, sondern auch der Verbindung dieses Kanals mit dem übrigen Entwässerungssystem. Dies soll nach Driehaus, § 13, Rd-Nr. 68 aber nur möglich sein, wenn rechtzeitig vor Entstehung der sachlichen Beitragspflicht eine sogenannte Entwässerungssystementscheidung getroffen und aktenkundig gemacht wurde.

Wegen der Parallelbehandlung der Straßenentwässerung und der Straßenbeleuchtung in § 128 Abs. 1 Z. 2 BauGB gilt entsprechendes für die Straßenbeleuchtung. Wenn etwa in anderen Straßen erst ein Kabel verlegt werden muß, um die Beleuchtung der eigentlich abzurechnenden Erschließungsanlage zu ermöglichen, so gehören die Kosten für eine derartige "Transportleitung" nach entsprechender Systementscheidung ebenfalls zum Beleuchtungssystem.


3.1.3 Fremdfinanzierungskosten

Wurde auch nur in einem Rechnungsjahr seit Begleichung der ersten Abschlagsrechnung für eine Erschließungsmaßnahme der Gemeindehaushalt teilweise fremdfinanziert, so ist es grundsätzlich möglich, Zinsen in den umlagefähigen Aufwand einzubeziehen; näheres siehe Driehaus, § 13, Rd-Nr. 12 ff.

Ist nach der Satzung die Erhebung von Vorausleistungen möglich, muß nach der hier vertretenen Ansicht primär dieser Finanzierungsweg gewählt werden. Erhebt die Gemeinde dennoch keine Vorausleistungen, kann sie auch keine Fremdfinanzierungskosten abrechnen.


3.2 Verteilungsphase

3.2.1 Beitragspflichtige Grundstücke

Beitragspflichtig sind grundsätzlich Buchgrundstücke, also im Regelfall nicht etwa ein aus mehreren bebaubaren Grundstücken bestehender einheitlich genutzter Grundbesitz, schon garnicht ein Gebäude oder eine Eigentumswohnung. Die Grundstücke müssen bebaubar oder in anderer beitragsrechtlich relevanter Weise nutzbar sein. Nicht in die Verteilung einzubeziehen sind daher beispielsweise:



3.2.2 Zweiterschließung

Zweiterschließung in diesem Sinne meint nur das Erschlossensein von zwei gleichartigen Anlagen, also beispielsweise von zwei Straßen, nicht jedoch von ungleichartigen Erschließungsanlagen wie etwa durch einen Lärmschutzwall und eine Straße. Letzteres führt zu getrennten Beitragsverfahren wegen des in unterschiedlicher Weise zu bestimmenden Kreises der erschlossenen Grundstücke. Die Zweiterschließung durch gleichartige Anlagen führt im Grundsatz zur Berücksichtigung des Grundstücks bei beiden Anlagen im vollem Umfang. Im Grundsatz wird jedes Grundstück für jede Erschließungsanlage, an der es liegt, beitragspflichtig, im Extremfall also auch mehr als nur zweimal.

Die EBS sehen regelmäßig Vergünstigungen für mehrfacherschlossene Grundstücke, im Regelfall also für Eckgrundstücke vor. Diese Vergünstigung ist bereits bei der Verteilung des Aufwandes zu berücksichtigen, nicht erst bei der Beitragserhebung , so daß dies für die Gemeinde kostenneutral bleibt. Die EBS sehen die Eckvergünstigungen in der Regel nur für Wohngebiete vor, also nicht für Gewerbegebiete und ähnliches. Nach Driehaus, § 18, Rd-Nr. 80 muß in Extremfällen, in denen durch die Eckvergünstigung das Eckgrundstück gegenüber den Normalgrundstücken unverhältnismäßig entlastet würde, der Umfang der Vergünstigung im Einzelfall vermindert werden.

Im Ausnahmefall eines zwischen zwei parallel verlaufenden Erschließungsanlagen durchlaufenden Grundstücks, bei dem die beiden Teile jeweils eindeutig einer der beiden Erschließungsstraßen zugerechnet werden können und die etwa gleichwertig bebaubar sind, erfolgt die Verteilung der Kosten jeweils nur auf den der abzurechnenden Straße zugeordneten Grundstücksteil.


3.2.3. Tiefenbegrenzung

Die in den EBS regelmäßig enthaltenen Tiefenbegrenzungen gelten ausschließlich für nicht beplante Gebiete. Eine Tiefenbegrenzung kann im Geltungsbereich von Bebauungsplänen nicht angewendet werden.

Die Tiefenbegrenzung ist nach Auffassung von Driehaus, § 17, Rd-Nr. 33 auch nicht auf solche Grundstücke anzuwenden, die gänzlich innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen, sondern nur auf solche Grundstücke, die am Rande des Ortsteils in den Außenbereich übergehen, a.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.11.2002, 3 A 3531/99 und inzwischen auch BVerwG, Entscheidung vom 1.9.2004, 9 C 15.03 (siehe dazu).


3.2.4 Maß der baulichen Nutzung in unbeplanten Gebieten

Ältere EBS verweisen bezüglich der GFZ regelmäßig auf die Höchstgrenzen des § 17 BauNVO, in der vor dem 27.01.1990 geltenden Fassung. Nach Driehaus, § 18, Rd.-Nr. 42 ist dies in einer vor diesem Zeitpunkt erlassenen Satzung ein statischer Verweis, so daß auch weiterhin danach verteilt werden kann. Da § 17 BauNVO in der jetzt geltenden Fassung keine Zuordnung von bestimmten Höchstwerten der GFZ zu bestimmten Vollgeschoßzahlen enthält, kann mit diesem Verweis bei der Aufstellung einer neuen EBS jedoch nicht mehr gearbeitet werden. Es muß vielmehr gegebenenfalls der Inhalt des früher geltenden § 17 Abs. 1 BauNVO in die Satzung hineingeschrieben werden.

Bei der Anwendung des Nutzungsfaktorenmaßstabs kann in unbeplanten Gebieten auf die tatsächlich vorhandene Vollgeschosszahl abgestellt werden.


3.2.5 Artzuschlag

Der Artzuschlag kann beispielsweise in der EBS für beplante Gewerbegebiete nur für das gesamte Gewerbegebiet angeordnet werden, um ein ebenfalls an der selben Erschließungsstraße gelegenes beplantes oder nicht beplantes Wohngebiet zu entlasten. Er kann jedoch im beplanten Gebiet nicht für einzelne gewerblich genutzte Grundstücke angeordnet werden mit der Folge, daß auch für ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück im ausgewiesenen Gewerbegebiet der Artzuschlag für Gewerbegebiet anzubringen ist. Im unbeplanten Gebiet kann in der EBS die Anwendung des Artzuschlags von der tatsächlichen zuschlagspflichtigen Nutzung des einzelnen Grundstücks abhängig gemacht werden.


3.2.6 Ausnutzungsbeschränkungen

Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, Driehaus, § 17, Rd.-Nr. 54 ff, daß der Verminderungszwang im Sinne der früheren Rechtsprechung, also der fiktive Ansatz einer kleineren Grundstücksgröße nicht mehr anzuwenden ist. Bei der Anwendung des Geschossflächenmaßstabs muss die aufgrund bundesrechtlicher oder landesrechtlicher Einschränkungen gegenüber der nominell in einem Bebauungsplan festgesetzten GFZ verringerte Ausnutzbarkeit vielmehr bei der Berechnung der der Verteilung zugrundezulegenden Geschoßfläche berücksichtigt werden. Ist also nach der EBS, wie in Hessen lange Zeit üblich, die zulässige Geschoßfläche verteilungsrelevant, so muß die sich gegebenenfalls aus überbaubarer Grundstücksfläche und maximaler Geschoßzahl ergebende geringere Geschoßfläche statt der Fläche angesetzt werden, die sich aus der Multiplikation der Grundstücksfläche mit der im Bebauungsplan festgesetzten GFZ ergibt. Landesrechtliche Feinheiten bei der Bestimmung von Dach- und Kellergeschossen zu Vollgeschossen oder Nicht-Vollgeschossen bleiben im Beitragsverfahren außer Acht, Driehaus, § 17, Rd.-Nr. 59.

Bei der Anwendung des Nutzungsfaktorenmaßstabs spielen nur noch solche Ausnutzungshindernisse eine Rolle, die sich auf die nominelle Anzahl der Vollgeschosse auswirken können.


4. Beitragserhebung

Persönlich beitragspflichtig ist derjenige, der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids Grundstückseigentümer ist. Wer Eigentümer ist, ergibt sich in der Regel aus dem Grundbuch. Ist ein Baulandumlegungsverfahren zwar rechtswirksam abgeschlossen, sind die neuen Eigentumsverhältnisse aber noch nicht im Grundbuch eingetragen, so ist der Eigentumsübergang außerhalb des Grundbuchs dennoch bereits vollzogen. Eigentümer und damit Beitragspflichtiger ist auch in diesem Fall der neue Eigentümer nach der Umlegung.

In der Praxis ist es in der Regel nicht geboten, vor Erlaß der Beitragsbescheide das Grundbuch einzusehen. Die bei den Gemeinden oft sehr aktuell vorhandenen Zweitschriften des Liegenschaftsbuchs des Katasters sind ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand besser greifbar als die Unterlagen des Grundbuchamtes. Sollte zwischenzeitlich ein Eigentumswechsel vollzogen sein, so läßt sich dies im Widerspruchsverfahren unschwer klären.

Seit dem 7.11.1991 ist in Hessen keine Zustellung des Beitragsbescheides mehr erforderlich. In § 11 Abs. 7 KAG ist nur noch von der Bekanntgabe die Rede. Wird ein Bescheid rechtzeitig vor der Verjährung verschickt und geht daraufhin weder Widerspruch noch eine Zahlung ein, so kann er, falls er als einfacher Brief nicht angekommen sein sollte, unschwer nochmals bekanntgegeben werden. Kritisch wird es, wenn Verjährung droht. In diesem Fall sollten die Kosten für eine förmliche Zustellung nicht gescheut werden. Spätestens wenn sich der erste Zahlungsunwillige darauf herausredet, nie einen Bescheid bekommen zu haben, dürfte auch der an sparsamer Verwaltungsführung Interessierte von der praktischen Notwendigkeit der Zustellung überzeugt sein. Im Fall der förmlichen Zustellung ist auch bei Eheleuten je eine Ausfertigung des Bescheides zu versenden.

Es empfiehlt sich, das gesamte Erhebungsverfahren in einer zusammenhängenden Ausarbeitung zu dokumentieren, in der die Überlegungen zu Abgrenzungsfragen bei den Erschließungsanlagen aufgeführt sind, die Rechnungen aufgelistet sind, die Überlegungen zum Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke dargelegt, sowie letztere aufgelistet sind und aus der der Berechnungsvorgang hervorgeht. Eine derartige systematisch aufgebaute Ausarbeitung trägt bei ihrer Aufstellung dazu bei, daß Fehler vermieden werden. Sie zeigt demjenigen der als Anwalt oder Richter die Angelegenheit überprüft, daß systematisch und überlegt vorgegangen wurde und mindert dadurch in der Praxis den Anfangsverdacht auf Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung doch erheblich.

Es empfiehlt sich vielfach, vor der Versendung der Beitragsbescheide zu einer Aufklärungsveranstaltung einzuladen.


5. Widersprüche

Widersprüche sind - soweit die Gemeinde nicht gleich abhilft - unabhängig von ihrer Zulässigkeit oder Begründetheit gemäß § 7 des Hessischen Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung dem Anhörungsausschuß beim Landrat bzw. dem eigenen städtischen Anhörungsausschuß vorzulegen, sofern der Widerspruchsführer darauf nicht gleich verzichtet hat. Nicht fristgerecht eingegangene Widersprüche müssen auf jeden Fall als unzulässig zurückgewiesen werden. Es ist dringend davon abzuraten, sich auf den Inhalt eines unzulässigen Widerspruch überhaupt einzulassen.

Ist ein Widerspruchsführer im Widerspruchsverfahren durch einen Rechtsbeistand vertreten und wird dem Widerspruch stattgegeben, hat er in Hessen keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Beistandes. Wird der Widerspruch jedoch abgelehnt und wird daraufhin vor dem Verwaltungsgericht geklagt, so erhält im Falle des Obsiegens der Widerspruchsführer und Kläger auch die Beistandskosten aus dem Widerspruchsverfahren erstattet.

Stellt sich im Widerspruchsverfahren heraus, daß ein Fehler bei der Verteilung zu Lasten des Widerspruchsführers vorliegt, so müßte vor dem Hintergrund der generellen Verpflichtung zur Beitragserhebung eine Nacherhebung bei den übrigen Beitragspflichtigen erfolgen. Diese - wenn auch nicht sehr populäre Maßnahme - ist bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung jederzeit möglich. Es empfiehlt sich also, mit dem Beitragsverfahren nicht bis kurz vor Ablauf der Verjährung zu warten, damit derartige Nacherhebungen noch möglich sind. Nacherhoben wird im Falle eines zwischenzeitlich erfolgten Verkaufs beim früheren Eigentümer, im zwischenzeitlich eingetretenen Erbfall beim Erben, auch wenn dieser nicht mehr Eigentümer sein sollte.

Der erfolgreiche Widerspruchsführer bekommt sein Geld zurück, jedoch ohne Zinsen. Der erfolglose Widerspruchsführer muß in Hessen Widerspruchsgebühr zahlen, die für nach dem 1.1.2002 eingelegte Widersprüche nach dem Verwaltungsaufwand bemessen wird, es sei denn, die Gemeinde habe in ihrer Verwaltungskostensatzung eine andere Bemessungsregelung getroffen, beispielsweise als Prozentsatz des angefochtenen Betrags. Legt er gegen die Kostenfestsetzung Widerspruch ein und begründet diesen ausschließlich mit der angeblichen Rechtswidrigkeit des Sachbescheides, so ist dieser Widerspruch unzulässig.

Der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Die Zahlung wird also einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheides auf jeden Fall fällig. Wird bei eingelegtem Widerspruch oder auch ohne daß Widerspruch eingelegt ist nicht gezahlt, sind Säumniszuschläge verwirkt; es kann vollstreckt werden.

Der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs an das Verwaltungsgericht kann erst gestellt werden, wenn ein Antrag an die Gemeinde auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt wurde oder wenn dessen Bearbeitung ungebührlich verzögert wird oder wenn eine Vollstreckung droht. Ein derartiger Antrag, der ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen bei Gericht gestellt wurde, ist deshalb unzulässig.


Erich Bauer
Manuskript Stand 06.08.2014
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