7.4.1999 Anschlußbeitragsbescheide nicht ohne vorherigen kritischen Blick in die Satzung

Dr. Hans Henning Lohmann, Vorsitzender Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof und langjähriges Mitglied in dem für das Beitragsrecht zuständigen 5. Senat hat in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, 20. Ergänzungslieferung, März 1999 nun seine Überlegungen zur Beitragssatzregelung bei der Erhebung von Anschlußbeiträgen einem breiteren Fachpublikum zugänglich gemacht. Bereits sein Aufsatz "Die Ausgestaltung der Beitragssatzregelung bei der Erhebung von Anschlußbeiträgen nach § 11 HessKAG" (Hessische Städte und Gemeindezeitung 1998, S. 126) hat in dieser Beziehung ja mancherorts bereits zu neuen Satzungsregelungen geführt. Da anzunehmen ist, daß die Lohmann´schen Überlegungen unmittelbar in die Rechtsprechung der hessischen Verwaltungsgerichte einfließen werden, sei an dieser Stelle nochmals dringend geraten, vor der nächsten Abrechnung von Entwässerungs- bzw. Wasserversorgungsbeiträgen die einschlägigen Satzungen bzw. deren Anwendung zu überprüfen.

  1. Anschlußbeiträge in den klassischen Neubaugebieten sind Beiträge für die Schaffung und nicht etwa Beiträge für die Erweiterung. Deshalb ist hier der Beitragssatz der Satzung für die Schaffung anzusetzen. Die umgangssprachlich als "räumliche Erweiterung des Netzes" bezeichnete Leitungsverlegung in einem Neubaugebiet ist beitragsrechtlich gesehen ein Teil der Schaffung des Gesamtnetzes. Der beitragsrechtliche Begriff der Erweiterung meint beim Netz nicht räumliche, sondern funktionelle Erweiterung, beispielsweise durch Pumpwerke , Regenrückhaltebecken, Regenüberlaufbauwerke u.ä.

  2. Identische Beitragssätze für Schaffung, Erweiterung und Erneuerung in der Satzung legen den Verdacht nahe, daß die Beitragssätze gegriffen und nicht kalkuliert sind, weil vom Lohmann´schen Denkansatz her beispielsweise ein Schaffensbeitrag bei der Kalkulation immer höher ausfallen muß als ein Erneuerungsbeitrag. Da aber der Hessische VGH weiterhin in dieser Hinsicht lediglich eine Ergebniskontrolle durchführt, können die identischen Beitragssätze in der Satzung für die drei Beitragstatbestände unschädlich sein, wenn nur im Streitfall nachweisbar ist, daß keine Überdeckung entsteht.

  3. Da Gegenstand der Betrachtung nicht etwa der Kanal in einer Straße oder in einem Baugebiet, sondern das Gesamtnetz oder zumindest das technisch eigenständige Teilnetz ist, können Beitragssätze, die in der Satzung ausdrücklich für die Anwendung in einzelnen Baugebieten vorgeschrieben sind, nicht gehalten werden. Unterschiedliche Beitragssätze für verschiedene räumliche Teile des Gemeindegebiets sind nur dann zu rechtfertigen, wenn sich die Gemeinde bewußt für technisch voneinander unabhängige Teilsysteme entschieden hat, weil beispielsweise verschiedene Ortsteile in verschiedene Kläranlagen entwässern. In diesem Fall muß aber auch die jeweilige Gebühr unterschiedlich hoch in der Satzung verankert sein.

  4. Die Praxis mancher Gemeinden, aus Anlaß der Erschließung eines Neubaugebietes den Anschlußbeitrag tatsächlich zwar baugebietsweise zu kalkulieren, ihn dann aber in der Satzung so für das ganze Gemeindegebiet einheitlich festzusetzen und dies für die zeitlich nachfolgenden Neubaugebiete immer wieder neu zu tun, läßt zwar bei erstem Hinsehen den Verdacht auf die rechtlich verbotene baugebietsweise Kalkulation nicht aufkommen. Diese Praxis dürfte aber nach dem unter Ziffer 3 dargelegten ebenfalls nicht haltbar sein.

Vor diesem Hintergrund ist dringend anzuraten, aus Anlaß einer vorgesehenen Abrechnung von Anschlußbeiträgen für Neubaugebiete die bestehende Satzung kritisch zu überprüfen. Dieser Rat gilt um so mehr, wenn an die Erhebung von Beiträgen für Erneuerungen, Erweiterungen oder sonstige kombinierte Ergänzungsmaßnahmen im Netz oder an den zentralen Einrichtungen wie Kläranlage und Hochbehälter gedacht ist.

Manuskript Stand 25.10.2002

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