15.04.2007 Senatsvorsitzender kommentiert Mustersatzung kritisch

Nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 15.12.2004, 5 UE 1297/03 die Anwendung der auf der damaligen Mustersatzung des Hessischen Städte- und Gemeindebundes beruhenden Verteilungsregelung in den Entwässerungs- und Wasserversorgungssatzungen in Frage gestellt hatte, änderte dieser - sozusagen als "Befreiungsschlag" - seine Satzungsempfehlung, indem er den kombinierten Grundstücksflächen- und Geschossflächenmaßstab durch den Nutzungsfaktorenmaßstab (Vollgeschossmaßstab) ersetzte. Dr. Hans-Henning Lohmann, Vorsitzender Richter des 5. Senats des Hessichen Verwaltungsgerichtshofs beschäftigt sich nun im Rahmen der 36. Ergänzungslieferung zu Driehaus, Kommunalabgabenrecht mit dem Nutzungsfaktorenmaßstab und kommt zunächst grundsätzlich zu folgender positiven Beurteilung: "Er gilt nicht nur bei Erschließungs- und Straßenbeiträgen, sondern auch bei Anschlussbeiträgen als ein zulässiger und zudem besonders praktikabler Maßstab."

Er kritisiert dann aber mehrere Einzelregelungen des Satzungsmusters:

  1. Die 1/10-tel Regelung für die nicht bebauten Teile von Außenbereichsgrundstücken könne bei entsprechend großen Grundstücken zu einer nicht mehr vorteilsgerechten Belastung führen.
  2. Die Behandlung der über das Maß der Tiefenbegrenzung in den Außenbereich hineinragenden Bebauung als Bebauung im Außenbereich sei nicht gerechtfertigt. In solchen Fällen sei in der Regel der Innenbereich eben weiter zu fassen.
  3. Es sei nicht nachvollziehbar, dass im unbeplanten Innenbereich bei bebauten Grundstücken die tatsächliche Vollgeschosszahl, bei unbebauten aber die zulässige Vollgeschosszahl anzusetzten sei, wodurch Grundstücke bevorteilt würden, die tatsächlich niedriger bebaut seinen als dies nach dem Baurecht zulässig ist.

Auch in der Praxis des Betreibers dieser Seiten haben ungeachtet der erst jetzt bekannt gewordenen Auffassung von Lohmann zwei der genannten Kritikpunkte bereits eine Rolle gespielt und in der Folge zu einer Abweichung von der Mustersatzung im Sinne Lohmanns geführt. So konnte in einer Gemeindevertretung nicht nachvollzogen werden, dass entsprechend große Wiesen- und Waldanteile mehrer bebauter Außenbereichsgrundstücke nahezu zu einer Verdoppelung der Beitragsbelastung gegenüber der ausschließlichen Berücksichtigung der vorhandene Bebauung geführt hätten. Die Gemeinde hat sich daraufhin grundsätzlich gegen die Berücksichtigung derartiger Flächenanteile entschieden.

Die Praxisprobleme bei der Bestimmung der Vollgeschosszahlen von historisch vorhandener Hangbebauung nach der Definition der heute geltenden HBO und der systematische Bruch zwischen zulässiger Vollgeschosszahl und tatsächlich vorhandener auf benachbarten unbebauten und bebauten Innenbereichsgrundstücken haben dieselbe Gemeinde veranlasst, auch für bebaute Innenbereichsgrundstücke aussschließlich auf die zulässige Vollgeschosszahl abzustellen. Dazu musste das Satzungsmuster wegen seiner Verweisungen allerdings an mehreren Stellen - und nicht nur beim Begriff "tatsächlich vorhanden" - geändert werden.

In vielen Hessischen Städten und Gemeinden wird aktuell weder die Heranziehung von Außenbereichsgrundstücken noch von Innenbereichsgrundstücken anstehen. Lediglich im Neubaugebiet sind Schaffungsbeiträge zu erheben, so dass man geneigt sein könnte, die o.g. Kritikpunkte zu vernachlässigen. Hier sei daran erinnert, dass in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs die sogenannte "konkrete Vollständigkeit" der Verteilungsregelung der Satzung verlangt wird. Auch die Beitragserhebung im Neubaugebiet könnte also an diesen Fragen scheitern, sollte sich die Rechtsprechung die Kritik Lohmanns zu eigen machen.


Die beiden oben unter Ziffern 1 und 2 genannten Kritikpunkte hat der Hessische Städte- und Gemeindebund inzwischen bei den Satzungsmustern 5/2009 berücksichtigt. Für eine Änderung bezüglich Kritikpunkt 3 wird offenbar kein Bedürfnis gesehen, nachdem Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer entsprechende Regelungen für unbedenklich gehalten haben. Inzwischen hat sich auch der 5. Senat des Hessischen VGH im Urteil vom 17.11.2011, 5 A 3140/09 - entgegen der Bedenken seines zwischenzeitlich in den Ruhestand getretenen früheren Vorsitzenden - dieser Rechtsprechung angeschlossen.

Manuskript Stand 02.01.2012

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