24.09.2004 Geschossflächenmaßstab oder Vollgeschossmaßstab?

Durch die Entscheidung des Hessischen VGH 5 UE 1701/02 vom 16.6.2004 ist die seit langem bestehende Problematik der Berücksichtigung von Ausnutzungsbehinderungen im Beitragsrecht wieder verstärkt ins Bewusstsein der Beitragsrechtler gerückt. Bei der in hessischen Städten und Gemeinden - sofern sie auf das frühere Satzungsmuster des Hessischen Städte- und Gemeindebunds zurückgreifen – üblichen Anwendung des Geschossflächenmaßstabs führt dies zwar – falls Ausnutzungsbehinderungen in der Praxis auch konsequent berücksichtigt werden – zu einem hohen Maß an Verteilungs-„gerechtigkeit“. Der hohe Ermittlungsaufwand (Verwaltungskosten) und die damit wieder verbundene hohe Fehleranfälligkeit führt jedoch dazu, dass die Praktiker in den Gemeinden vielfach nach einer „einfacheren“ Lösung rufen. Die scheint mit dem Vollgeschossmaßstab, der in Hessen in größeren (kreisfreien) Städten üblich ist, auf der Hand zu liegen. Während beim Geschossflächenmaßstab sehr viele öffentlich-rechtliche Ausnutzungsbehinderungen sehr differenziert auf die zulässige Geschossfläche einwirken können, ist dies beim Vollgeschossmaßstab nur in den wenigen Fällen denkbar, in denen die an sich zulässige Anzahl der Vollgeschosse einmal ausnahmsweise wegen einer anderen Vorschrift nicht verwirklicht werden kann, beispielsweise im Fall des unter Denkmalschutz stehenden eingeschossigen Gebäudes in einer Umgebung, in der planungsrechtlich gesehen zweifelsfrei zwei oder mehr Vollgeschosse zulässig sind.

Im benachbarten Bayern, wo auch das Erschließungsbeitragsrecht Landesrecht ist und wo der Vollgeschossmaßstab alleine oder in Kombination mit dem Grundstücksflächenmaßstab verbreitet ist, war lange strittig, ob dieser als Maßstab im Straßenbeitragsrecht zulässig ist. Die „Ungerechtigkeit“, die dort vielfach empfunden wird, weil für ein Grundstück, das nach Bauplanungsrecht nur mit einem gleichgroßen Gebäude wie auf dem Nachbargrundstück bebaut werden darf, das aber deutlich größer ist als das Nachbargrundstück und für das deshalb ein entsprechend höherer Beitrag zu zahlen ist, hat jedenfalls jetzt den Bayerischen VGH in der Entscheidung 6 CS 03.434 vom 9.6.2004 nicht beeindrucken können. Der Vollgeschossmaßstab ist nach dieser Rechtssprechung ein zulässiger Maßstab - jedenfalls im Straßenbeitragsrecht.

Rechtliche Bedenken gegen eine Umstellung der Beitragssatzungen Hessischer Städte und Gemeinden auf den Vollgeschossmaßstab dürften vor diesem Hintergrund nicht bestehen. Weder der Hessische VGH noch das BVerwG haben ihn jemals in Frage gestellt. Die Rechtssprechung des Hessischen VGH, die vor Jahrzehnten zur Aufgabe des bis dahin auch üblichen Vollgeschossmaßstabs führte, hatte jedenfalls nicht den Maßstab an sich, sondern nur die seinerzeit üblichen Nutzungsfaktoren für bedenklich gehalten. Es wäre zu wünschen, dass Angesichts der Umstellung der Satzungsmuster des Hessischen Städte- und Gemeindebundes auf den Vollgeschossmaßstab die Gemeindevertretungen nun nicht kommentarlos das Muster übernehmen, sondern intensiv darüber diskutieren, welche Lösung im Hinblick auf die städtebaulichen Gegebenheiten in der jeweiligen Gemeinde die „gerechtere“ ist. Die Verwaltungspraktikabilität alleine sollte bei dieser Entscheidung nicht im Vordergrund stehen, denn spätestens bei der ersten Beitragsabrechnung nach der neuen Satzung werden die Betroffenen ihr Gerechigkeitsempfinden auch den Mitgliedern von Gemeindevorstand und Gemeindevertretung gegenüber deutlich zum Ausdruck bringen.

Manuskript Stand 26.11.2006

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