Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 22.04.2010, 4 C 306/09.N einen Bebauungsplan der Stadt Offenbach insgesamt für unwirksam erklärt, mit dem diese die Umwandlung ihres brach gefallenen Hafengeländes zu einem attraktiven Wohn- und Dienstleistungsstandort ermöglichen wollte. Eigene wirtschaftliche Interessen der Stadt haben hier offenbar den Blick für die Grenzen der bauleitplanerischen Möglichkeiten beeinträchtigt. Diese Interessen standen offenbar so stark im Vordergrund, dass noch kurz vor der mündlichen Verhandlung der - letztlich gescheiterte - Versuch unternommen wurde, den Antragstellern im Normenkontrollverfahren ihre Klage abzukaufen.
Die Entscheidung liest sich wie das Musterbuch zur Prüfung solcher Bebauungsplanverfahren, wie sie derzeit nach der Erfahrung des Betreibers dieser Seiten unter großem ökonomischen Druck auf die jeweilige Kommune von diesen vielerorts betrieben werden, wobei die gesetzlich vorgegebenen Beurteilungsgrenzen meist ausgereizt bzw. wie im vorliegenden Fall auch überschritten werden.
1. Siedlungsbeschränkungsbereich des Flughafens Frankfurt/Main
In diesen Flächen, zu denen das Plangebiet teilweise gehört, ist nach der Ausnahmeregelung der Nr. 5.2-2 Satz 2 der bindenden Regelung im Regionalplan Südhessen 2000 die Ausweisung neuer Bauflächen nur zulässig, wenn eine „Fläche innerhalb des Siedlungsbestandes“ überplant wird. Vorliegend handelte es sich aber um eine „Siedlungsfläche Zuwachs“ des Regionalplans.
2. Entwicklung aus dem Flächennutzungsplan
Im Flächennutzungsplan des Umlandverbandes Frankfurt sind für das Plangebiet gewerbliche und gemischte Bauflächen so angeordnet, dass Lärmemissionen benachbarter in Betrieb befindlicher Industriegebiete nur die gewerblichen Flächen im Plangebiet berühren können. Im Bebauungsplan wurden aber die Flächenanteile für Mischgebiet in diesen Bereich hinein in einem solchen Umfang erweitert, dass die Grenze des Entwickelns deutlich überschritten wurde.
3. Ermittlung von Lärmimmissionen
Bei der Abwägung wurde auf der Grundlage von aktuellen Messergebnissen von der Nachbarverträglichkeit von benachbarten Industriegebieten und der im Plangebiet zulässigen Wohnnutzung ausgegangen. Der VGH hält aber eine Lärmprognose für notwendig, in der über eine solche Momentaufnahme hinaus die Ausschöpfung der zulässigen Emissionen durch die vorhandenen Betriebe zugrundegelegt wird.
4. Lärmschutz durch abschirmende Bebauung
Im Bebauungsplan war festgesetzt, dass Teile der Wohnbebauung erst errichtet werden dürfen, wenn andere Gebäude, die die Funktion einer Lärmabschirmung übernehmen sollen errichtet sind. Der VGH hält aber die dafür gewählten Festsetzungen und ihre mögliche rechtliche Umsetzung nicht für geeignet, das Lärmschutzkonzept zu realisieren und auf Dauer zu sichern.
5. Lärmschutz für Außenwohnbereiche
Der Plan enthielt Vorschriften zu passivem Lärmschutz an Wohngebäuden und zur Grundrissorientierung von Wohnungen. Unbeachtet blieb aber der ebenfalls notwendige Schutz der Außenwohnbereiche.
6. Überschreitung der Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung
Zu einer erheblichen Überschreitung der Höchstgrenzen des § 17 Abs. 1 BauNVO sah sich die Stadt deshalb berechtigt, weil das Gebiet am 1.8.1962 bebaut gewesen sei, § 17 Abs. 3 BauNVO. Der VGH hat die damalige Hafennutzung aber nicht als Bebauung im Sinne dieser Vorschrift gelten lassen. Gemeint sei vom Verordnungsgeber vielmehr die Überplanung eines bereits mit höherer Dicht vorhandenen Baubestandes, nicht jedwede baulich Nutzung , die nun wie im vorliegenden Fall grundsätzlich verändert werde. Auch die von der Stadt angeführten besonderen städtebaulichen Gründe im Sinne des § 17 Abs. 2 BauNVO (letztlich ökonomische) für die Überschreitung der Höchstgrenzen ließ der VGH nicht gelten. Eine städtebauliche Ausnahmesituation liege hier gerade nicht vor.
7. Lage im Überschwemmungsgebiet
Darin, dass das Plangebiet in einem Überschwemmungsgebiet alten Rechts liegt, sah der VGH keinen Rechtsverstoß. Das Verbot von Bauleitplanung in Überschwemmungsgebieten in § 31 b Abs. 4 Wasserhaushaltsgesetz gelte nur für Überschwemmungsgebiete, die nach § 31 b Abs. 2 WHG 2005 ausgewiesen wurden.
8. Seveso-Richtlinie
Nach den vorstehen aufgeführten Kritikpunkten kam es für den VGH auf die Frage, ob die Abstände zu Störfallbetrieben eingehalten sind, nicht mehr an. Er macht jedoch auf möglicherweise hier aufgetretene Fehler bei dieser Beurteilung aufmerksam, so dass die diesbezüglichen Ausführungen in vergleichbaren Situationen durchaus hilfreich sein können.
Manuskript Stand 30.05.2010
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