07.02.2001 Zum Verhältnis kreisangehörige Gemeinde / Baugenehmigungsbehörde im Baugenehmigungsverfahren

Von den sogenannten Sonderstatusstädten und einzelnen Ausnahmefällen abgesehen, sind in Hessen die Kreisausschüsse zuständige Baugenehmigungsbehörde. Dort wird der Bauantrag eingereicht, § 60 Abs. 1 HBO. Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 HBO beteiligt die Bauaufsichtsbehörde die Gemeinde. Dieses Beteiligungsverfahren findet grundsätzlich statt, also beispielsweise auch in den Fällen, in denen bereits ein Bauvorbescheid als vorweg genommener Teil der Baugenehmigung erteilt wurde. Auch wenn in diesen Fällen eine Verweigerung des Einvernehmens nach § 36 BauGB oder § 14 Abs. 2 BauGB regelmäßig nicht mehr in Betracht kommt, so muss die Gemeinde dennoch die Gelegenheit haben, den Bauantrag auf seine Übereinstimmung mit der genehmigten Bauvoranfrage zu prüfen um bei eventuellen Abweichungen ihr Einvernehmen doch zu verweigern oder aber die Bauaufsichtsbehörde auf Abweichungen von auf Landesrecht beruhenden Satzungsregelungen etwa zur Stellplatzpflicht oder zur Baugestaltung aufmerksam zu machen. § 61 HBO gilt schließlich nach seinem eindeutigen Wortlaut für alle Bauanträge und ordnet nicht etwa den Wegfall eines Stellungnahmeverfahrens im Baugenehmigungsverfahren für den Fall einer bereits erteilten Bauvoranfrage an.

Mit § 61 Abs. 1 HBO ist auch die Verpflichtung des Landesgesetzgebers aus § 36 Abs. 1 Satz 3 BauGB erfüllt, wonach den Gemeinden Gelegenheit gegeben werden muss, auch in bereits beplanten Gebieten anlässlich eines Bauantrags, der den heutigen städtebaulichen Vorstellungen nicht mehr entspricht, im Hinblick auf eine Bebauungsplanänderung über die Einleitung von Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung durch Veränderungssperre bzw. Rückstellungsantrag zu entscheiden.

Die vielerorts anzutreffende Praxis der Baugenehmigungsbehörden, die Bauantragsunterlagen inhaltlich ungeprüft den Gemeinden mit dem Ersuchen um das Einvernehmen nach § 36 BauGB zu übersenden, begegnet Bedenken. Ist ein Bauvorhaben, aus welchen Gründen auch immer, aus der Sicht der Genehmigungsbehörde selbst nicht genehmigungsfähig, ist ein Ersuchen an die Gemeinde um ihr Einvernehmen verfehlt. Das Einvernehmen ist vielmehr nur dann einzuholen, wenn die Baugenehmigungsbehörde eine positive Entscheidung des Antrags beabsichtigt, Wurm, Das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB in amtshaftungsrechtlicher Sicht, NordÖR 2000, S. 404 .

Die Genehmigung, die ohne das notwendige Einvernehmen der Gemeinde erteilt wurde, ist allein deshalb bereits rechtswidrig, ohne dass es auf materielle Gesichtspunkte ankäme. Selbstverständlich kann die Beteiligung der Gemeinde nach § 61 HBO und das Ersuchen um das Einvernehmen nach § 36 BauGB in einem Schreiben zusammengefasst werden. Da dem Eingang dieses Ersuchens aber nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB Bedeutung für den Lauf der Zweimonatsfrist zukommt, muss deutlich werden, dass ein derartiges Ersuchen gestellt wird.

Die Bauaufsichtsbehörde hat die Gemeinde von der Erteilung der Baugenehmigung und anderen Entscheidungen zu unterrichten, § 64 Abs. 6 HBO. Dabei wird eine Ausfertigung des Bescheides beigefügt. Dieser Bescheid mit seiner Rechtsbehelfsbelehrung ist regelmäßig an den Antragsteller adressiert, nicht jedoch an die Gemeinde. Die Rechtsbehelfsbelehrung eines solchen Bescheides setzt deshalb gegenüber der Gemeinde auch nicht die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO in Lauf.

Ein verweigertes Einvernehmen hindert die Bauaufsichtsbehörde zunächst grundsätzlich an der Erteilung der Baugenehmigung auch selbst dann, wenn diese Verweigerung rechtswidrig sein sollte. Nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen jedoch ersetzt werden. Die Hessische Verordnung zur Durchführung des Baugesetzbuches , DVO-BauGB, vom 17.4.2007, GVBl I S. 259 benennt in § 22 Abs. 3 als für die Ersetzung zuständige Behörde die Bauaufsichtsbehörde bzw. im Widerspruchsverfahren die Widerspruchsbehörde. Das Widerspruchsverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs. Deshalb ist bereits ab diesem Zeitpunkt die Widerspruchsbehörde und nicht mehr die Bauaufsichtsbehörde für das Ersetzen des Einvernehmens zuständig, auch wenn die Bauaufsichtsbehörde den Widerspruch selbst noch nicht weitergeleitet hat, weil beispielsweise das Anhörungsverfahren vor dem Ausschuß nach § 7 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung noch nicht abgeschlossen ist. Da aber seit dem 27.10.2005 die unteren Bauaufsichtsbehörden selbst über die Widersprüche entscheiden, erschließt sich der Sinn der Regelung in § 22 Abs. 3 DVO-BauGB nur schwer.

Das "kann" in § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB wird allgemein als Verpflichtung zur Einvernehmensersetzung angesehen. Das Ermessen sei hier reduziert, Wurm, s.o.

Das Ersetzen des Einvernehmens ist der Gemeinde gegenüber Verwaltungsakt, der auch an die Gemeinde zu adressieren ist. Eine Baugenehmigung, die erteilt wurde, obwohl die Gemeinde Ihr Einvernehmen verweigert hat, beinhaltet keine Ersetzung des Einvernehmens. Allerdings dürfte es zulässig sein, in einem einheitlichen Bescheid das - dann notwendigerweise auch mit Sofortvollzug zu versehene - Einvernehmen zu ersetzen und die Baugenehmigung gegenüber der Gemeinde bekanntzugeben. Obwohl ausdrücklich in § 211 BauGB angeordnet, wird in der hessischen Praxis der Einvernehmensersetzung die Rechtsmittelbelehrung gelegentlich auch vergessen, was dann aber lediglich die Folge hat, dass statt der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO die Einjahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO zu laufen beginnt. Ein Widerspruchsverfahren entfällt gemäß Artikel 4, Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Verwaltungsstrukturreform vom 20.6.2002, GVBl. I, 2002, S. 342 wegen Nr. 8.2 der Anlage zu § 16a des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung ab dem 1.7.2002; Artikel 59 enthält eine spezielle Übergangsvorschrift hierzu. Eine Klage gegen das Ersetzen des Einvernehmens hat aufschiebende Wirkung. Die Einvernehmensersetzung ist nämlich keine "bauaufsichtliche Zulassung" im Sinne von § 212 a Abs. 1 BauGB. Erhebt eine Gemeinde keine Klage gegen das Ersetzen des Einvernehmens und wird darauf eine Baugenehmigung erteilt, ist sie zwar nicht gehindert, dagegen Widerspruch einzulegen. In diesem Verfahren ist die Gemeinde dann aber Dritter im Sinne des § 212 a Abs. 1 BauGB mit der Folge, dass dem Widerspruch keine aufschiebende Wirkung zukommt. § 212 a Abs. 1 BauGB umfasst nach der hier vertretenen Ansicht nur solche "bauaufsichtliche Entscheidungen", mit denen eine Baufreigabe verbunden ist, in Hessen also die Baugenehmigung, § 64 HBO, und die Teilbaugenehmigung, § 67 HBO, nicht aber den Bauvorbescheid, § 66 HBO, VG Darmstadt, Beschluss vom 06.09.99, 2 G 1013/99 (3), so auch VGH München, Beschl. v. 1.4.1999, 2 CS 98.2646, NVwZ 1999, S. 1363 zum Vorbescheid nach Art. 75 BayBauO. Die gegenteilige Ansicht vertritt OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.3.1999, 1 M 897/99, BauR 1999, S. 1163.

Die (angeblich) rechtswidrige Verweigerung des Einvernehmens hatte in der Praxis bisher üblicherweise seitens des Bauantragstellers die Ankündigung oder auch Androhung einer Schadensersatzforderung aus Amtspflichtverletzung gegen die Gemeinde zu Folge. Die Bauaufsichtsbehörden haben in solchen Fällen als alleinigen Ablehnungsgrund regelmäßig das verweigerte Einvernehmen der Gemeinde angeführt, um solchen Forderungen gegen den eigenen Rechtsträger zu entgehen. Mit Inkrafttreten der 7. VO zur Änderung der VO zur Durchführung des BauGB vom 18.02.1998, GVBl I S. 44 dürfte sich die Haftung hier grundsätzlich verschoben haben. Die Bauaufsichtsbehörde hat nun die Amtspflicht, sich über die Rechtmäßigkeit des verweigerten Einvernehmens Klarheit zu verschaffen und, falls die Rechtswidrigkeit erkannt ist, auch das Einvernehmen zu ersetzen, so zur Einvernehmensersetzung nach der Bayerischen Bauordnung, BayObLG, Urt. v. 19.2.2001, 5Z RR 3/00, Report BayObLG, 2001, S. 38. Da die frühere absolute Bindungswirkung des verweigerten Einvernehmens für die Bauaufsichtsbehörde damit entfallen ist, ist auch die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Gemeinde dem Antragsteller gegenüber entfallen, Wurm, s.o. Etwas anderes dürfte nur gelten, wenn sich die Gemeinde - zunächst erfolgreich - gegen die Einvernehmensersetzung zur Wehr gesetzt hat.

Manuskript Stand 17.5.2007
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